„Nichts tun, was man nicht richtig versteht“

Yves Kuhn, selbst professioneller Investor, gibt Tipps, was man beim Investieren beherzigen sollte

Hat mehr als 25 Jahre Erfahrung als Investor: Yves Kuhn. Foto: Anouk Antony

 

 

 

 

Guthaben auf dem Konto werfen keine Zinsen mehr ab, sondern kosten höchstens noch Gebühren – und nicht zuletzt nagt auch noch die Inflation daran. Wie also Geld anlegen und worauf dabei achten? Dazu ein Gespräch mit Yves Kuhn, ehemaliger Chief Investment Officer der Banque Internationale à Luxembourg (BIL).

Yves Kuhn, Sie waren sechs Jahre lang bis 2018 Chief Investment Officer der BIL. Was machen Sie heute?

Ich bin jetzt als unabhängiges Mitglied im Verwaltungsrat verschiedener Finanzinstitutionen. Das heißt, ich versuche dort mein Wissen weiterzugeben, das ich über die letzten 25 Jahre auch international im Finanzsektor erworben habe, in der Schweiz, in England und in Luxemburg. Zum Beispiel bin ich, um eine Firma zu nennen, im Board der Investmentfonds der BIL sowie in mehreren Boards verschiedener anderer Finanzdienstleister in Luxemburg.

Das Fondsvolumen hat enorm zugelegt, seit die Pandemie uns im Griff hat. Sind Investmentfonds für Privatanleger eine gute Anlageform?

Ich glaube, es gibt nichts, in was man über Investmentfonds nicht investieren kann. Aber wie überall gibt es auch Investmentfonds, die teurer sind oder die in der Qualität weniger gut sind. Das heißt, man muss sich informieren. Es gibt ja heutzutage sogar Bitcoins in ETFs (börsengehandelten Fonds, d. Red.). Weshalb spreche ich jetzt von Bitcoin? Weniger wegen des Return, sondern als Asset-Klasse, die sonst eigentlich sehr schwierig zugänglich ist für den privaten Kunden. Es gibt also inzwischen fast nichts, was nicht über irgendeine Fondsstruktur auch für normale Privatanleger zugänglich wäre. Worauf man achten muss, ist die Seriosität der Anbieter und auf die Investitionskosten.

Was sind die typischen Fehler, die Privatanleger begehen?

Ein großer Fehler, den viele Leute machen, nenne ich das Verhalten der Lemminge. Das heißt, es gibt noch immer zu viele Leute, die auf ein Boot aufspringen und sich nicht die ernsthafte Frage stellen: Wie lange kann das denn so weiter gehen? Das ist ein Fehler, den leider Gottes in der Vergangenheit viele Anleger gemacht haben und es ist einer, den noch immer viele machen.

Der zweite Fehler, den viele machen, ist weniger psychologisch, sondern besteht darin, dass man sich nicht die Frage stellt: Was ist das mir wert? Man lässt sich von Experten links und rechts leiten, ohne dieseFrage zu beantworten. Ich glaube, sehr viele Antworten, wenn es um Finanzen geht, bekommt man, indem man sich selbst klarmacht: Was sind Fragen, die ich selbst gerne beantwortet hätte. Und welche Antworten kann ich darauf geben. Ohne zu hinterfragen, folgt man zu oft dem, was Experten vorgeben.

Das heißt, der Anleger muss auch wissen, was er erreichen will?

Ja, das ist eben eine dieser Fragen, die man sich als Anleger vor der Investitionsentscheidung stellen muss. Und wenn man sich diese Fragen stellt, dann kommt die Zeitachse ins Spiel, die sehr wichtig ist beim Investieren. Wenn Sie mir heute sagen, Sie möchten etwas Geld investieren, allerdings nur für zwei Jahre, dann werde ich Ihnen sagen, lassen Sie die Hände von Aktien.

Weil sich das erst längerfristig rechnet?

So ist es. Oder sie haben einfach Glück. Aber meistens dauert so ein Aktienzyklus zwischen sieben und neun Jahren.

Vielleicht sind deswegen viele Leute skeptisch bei Aktien, weil sie mal versuchsweise gekauft haben, und dann ging der Kurs nach unten – und seitdem lassen sie die Finger davon?

Sie sprechen wahrscheinlich hier vom Beispiel Deutsche Telekom. Damals hatten für deutsche Verhältnisse relativ viele Haushalte in die Deutsche Telekom investiert. Und das hat sich dann natürlich damals nicht ausbezahlt. Wenn sie in einen Wert investieren, der nicht der Technologie ausgesetzt ist und der ihnen drei bis vier Prozent Rendite bezahlt pro Jahr, ich weiß nicht, ob Sie über zehn Jahre viel Geld damit verlieren können. Ich habe etwas ganz Spezifisches hier gesagt: ein Wert, der nicht der Technologie ausgesetzt ist. Ich spreche also von Werten wie Nahrungsmittel et cetera. Denn Technologiewerte, die können plötzlich stark anziehen, aber auch sehr schnell verschwinden wie zum Beispiel Nokia. Wer spricht heute noch von Nokia? Es gibt sehr viele Technologiewerte, die verschwunden sind und niemand es vorhersehen konnte. Umgekehrt das Beispiel Nestlé, ein Nahrungsmittelkonzern: solche Werte werden wahrscheinlich nicht so schnell verschwinden.

Wenn jetzt jemand Geld in Aktien anlegen will: Ist das ein gutes Mittel, um für die Altersvorsorge vorzusorgen?

Bei den Aktien und überhaupt bei allen Investitionen ist Diversifikation wichtig. Ich würde nicht 100 Prozent meiner Liquidität in Aktien stecken, sondern auch in andere Assetklassen investieren, ob das jetzt Obligationen sind, ob das jetzt Immobilien oder andere Währungen sind. Abhängig vom Alter würde ich als Anleger darauf achtgeben, die richtige Diversifikation zu finden, damit ich, wenn ich das Geld einmal brauche, auch eine gewisse Liquidität behalte.

Das heißt, wenn ich alles in Gold oder eine bestimmte Aktie stecke und bräuchte jetzt dringend Geld, dann muss ich im Zweifelsfall alles verkaufen, wenn der Kurs gerade im Keller ist.

Genau. Und niemand ist dagegen gefeit. Es kann immer ein bestimmtes Ereignis eintreten, das dafür sorgt, dass der Wert, in den ich investiere, sehr stark verliert, wie auch den umgekehrten Fall. Man sagt im Volksmund, man soll nicht alle Eier in einen Korb legen. Und beim Investment ist das genauso.

Was halten Sie von Alternativen zu Aktien? Es gibt noch Gold oder Schmuck, Kunst und neuerdings auch Kryptowährungen?

Man hat oft schon Probleme, um den intrinsic value (Substanzwert, d. Red.) von Unternehmen festzulegen; umso schwerer, den echten Wert eines Kunstwerks zu ermitteln. Wenn man sich die Geschichte anschaut, sieht man, dass es bekannte Künstler gab, für die man vor 50 Jahren viel Geld bezahlt hat, von denen niemand mehr spricht. Und dann gibt es natürlich die anderen auch, die vor weniger Jahren unbekannt waren und von denen heute jeder spricht, weil sie sehr teuer geworden sind. Hier geht es um ein Wissen, über das nur sehr wenige Leute verfügen.

Beim Investieren, wenn man diversifiziert – 30 Prozent in Aktien, 30 Prozent in Obligationen, 30 Prozent in Immobilien etc. – kennt man bei Aktien die Firmen und bei den Obligationen kennt man die Staatsverschuldungen, auch bei den Immobilien kann man berechnen, welche Mieteinnahmen zu erwarten sind. Bei Kunst ist das was ganz anderes.

Und bei Kryptowährungen?

Ich habe noch immer meine Probleme damit aus dem einfachen Grund, weil ich nicht wirklich weiß, was der intrinsic value davon ist. Wenn jetzt eine Zentralbank kommt und sagt, wir stehen hinter dieser digitalen Währung, dann ist ein echter Wert da, denn der Wert ist das Vertrauen in diese Zentralbank, in die Wirtschaft oder in den Staat. Aber solange das nicht so ist, weiß ich auch nicht genau, was die intrinsic value ist. Und solange ich das nicht hundertprozentig verstehe, will ich auch nicht aus purer Spekulationsgier in diese Währung hinein.

Worauf müssen Anleger noch achten?

Der letzte Bullenmarkt (anziehende Kurse, d. Red) bei den Aktien zum Beispiel hat jetzt wahrscheinlich 14 oder 15 Jahre gedauert. Im Schnitt dauert so ein Bullenmarkt sechs bis sieben Jahre. Beim Investieren muss man verstehen, wo man in der Laufzeit oder im Zyklus ist, um zu wissen, welchen Rang man dem Risiko gibt. Bei einem Markt, der seit 14 Jahren in die Höhe gegangen ist, sollte das Risiko genauso wichtig sein wie die Rendite. Und weshalb sage ich das? Ich gehe davon aus, dass viele Leute, die heute in London und New York im Tradingraum sitzen, wahrscheinlich unter 40 sind. Das heißt, sie haben wahrscheinlich nie eine Inflation gesehen. Leute wie ich, die über 55 sind, sind mit einer Inflation groß geworden. Ich bin mir bewusst, dass eine Inflation kommen kann, während wenn Sie zwischen 20 und 35 Jahren noch nie eine Inflation gesehen haben, das auch keine große Rolle für Sie spielen kann.

Das Handeln hängt also auch von der eigenen Lebenserfahrung ab?

Von der eigenen Lebenserfahrung und der eigenen Investmenterfahrung. Das, glaube ich, ist auch ein sehr wichtiger Bestandteil, wenn man investiert: man sollte nichts tun, was man selbst nicht richtig versteht.

Marco Meng, Luxemburger Wort, 26 November 2021